erneut 100.000 Verbraucherinsolvenzen

Im Jahr 2013 gingen erneut rund 100.000 Verbraucher in die private Insolvenz. Damit ist die Zahl der überschuldeten Haushalte auf einem vergleichhbar hohen Niveau wie im Vorjahr.

Bereits früher stellte Marion Kremer, Vizepräsidentin des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU) fest: „Viele private Haushalte sind weiterhin hoch verschuldet. Wir brauchen dringend mehr Maßnahmen zur Schuldenprävention. Die Einführung eines Schulfachs Finanzkompetenz wäre das richtige Signal.“

Etwa 10 Prozent der erwachsenen deutschen Bevölkerung ist verschuldet oder sogar überschuldet. Ein Großteil von ihnen könnte den Weg wählen, sich über ein Verbraucherinsolvenzverfahren zu entschulden und so einen wirtschaftlichen Neuanfang zu wagen. Angesichts dieses hohen Anteils wirkt die Zahl der tatsächlichen Verbraucherinsolvenzen in Deutschland vergleichsweise gering. Seit 2006 verzeichnet die Statistik jedes Jahr rund 100.000 solcher privaten Insolvenzen – nachdem in den Jahren zuvor teilweise rasante Steigerungsraten zu verzeichnen waren. „Die Verbraucherinsolvenz kann eine Möglichkeit sein, sich seinen Schulden zu stellen und eine krisenhafte private Situation zu überwinden“, so Marion Kremer. „Aber sie ist nicht die einzige. Die Ursachen von Überschuldung liegen tiefer, und diese Ursachen müssen wir bekämpfen, um langfristig Erfolg zu haben.“

Dass das Problem akut ist, belegt die Herbstumfrage der Inkassowirtschaft. Befragt nach den Gründen, warum private Kunden Rechnungen aktuell nicht oder verspätet begleichen, nennen 90 Prozent der teilnehmenden Unternehmen Überschuldung. 69 Prozent führen Arbeitslosigkeit als Grund an, 56 Prozent ein vorsätzliches Nichtbezahlen und 47 Prozent einen vorübergehenden Liquiditätsengpass der säumigen privaten Zahler.


Überschuldung und Arbeitslosigkeit Hauptgründe für schlechte private Zahlungsmoral

Während sich Arbeitslosigkeit – insbesondere vor dem Hintergrund eines stabilen Jobmarktes – und ein Liquiditätsengpass für die Betroffenen in aller Regel als vorübergehende Zustände darstellen, lässt sich eine Überschuldungssituation für den Einzelnen nicht ohne Weiteres auflösen.

„Als überschuldet gilt, wer dauerhaft weniger einnimmt, als er an Verbindlichkeiten zu begleichen hat“, erläutert Marion Kremer. Das Einkommen reicht also nicht aus, um etwa Miete, Kredite und Waren des täglichen Bedarfs zu finanzieren.

Dabei ist Überschuldung meistens das Ergebnis eines längeren Prozesses und hat nicht nur eine einzelne Ursache. Betroffene häufen Zahlungsverpflichtungen über einen großen Zeitraum an. Wenn dann nicht geplante Ereignisse wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder eine Scheidung eintreten, wird aus einer zunächst als beherrschbar angenommenen Verschuldung schnell eine Überschuldung.

„Schuldner sollten Schicksal in die eigene Hand nehmen – oder sich kompetent helfen lassen“. Kremer warnt: „Grundfalsch wäre es, wenn Überschuldete den Kopf in den Sand stecken und einfach abwarten.“ Sie rät: „Wer Schulden hat, sollte vielmehr den Kontakt zu den Gläubigern aufnehmen und sich um eine Bereinigung der Angelegenheit bemühen.“

BDIU für mehr öffentliche Schuldnerberatungen
Öffentliche Schuldnerberatungsstellen zum Beispiel könnten helfen, so Kremer, etwa wenn Verschuldete den Überblick über ihre Verbindlichkeiten verloren haben und zunächst einmal klären müssten, bei wem sie tatsächlich in der Kreide stehen. „Viele wollen ja wirklich raus aus den Schulden“, so Kremer. „Daher brauchen Sie Hilfe – leider aber gibt es zu wenige Schuldnerberatungsstellen, etwa bei der Caritas oder anderen öffentlichen Einrichtungen.“ Mehr Beratungsmöglichkeiten zu schaffen, sei daher eine notwendige Antwort auf die Überschuldungskrise.

Gläubiger mahnen: Halbierung der Wohlverhaltensperiode ist die falsche Antwort
Die von der Bundesregierung geplante Halbierung der Wohlverhaltensperiode im Verbraucherinsolvenzverfahren von sechs auf drei Jahre hält der BDIU dagegen für eine falsche Antwort. „Das hilft den Schuldnern nicht dabei, vernünftig mit ihrem Geld umzugehen“, sagt Kremer. Zudem belaste diese Halbierung einseitig die Gläubiger. Diese müssten ohnehin auf den Großteil ihrer berechtigten Forderungen verzichten, wenn ihr Schuldner Privatinsolvenz anmeldet – im Durchschnitt sind das deutlich über 80 Prozent des ihnen zustehenden Geldes.


Dominoeffekt – „Wer Gläubiger einseitig belastet, erhöht mittelbar das Verschuldungsrisiko der Verbraucher“

„Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist ein Kompromiss zwischen den berechtigten Forderungen der Gläubiger und den Interessen der Verbraucher“, so Kremer. „Dabei sollte man auch beachten: Bei Zahlungsausfällen müssen Gläubiger zur Not Mitarbeitern kündigen, weil sie nicht mehr genügend Liquidität haben, um alle Jobs in der Firma zu sichern. Kommt es ganz hart, wird das Unternehmen insolvent und die gesamte Belegschaft steht auf der Straße. Arbeitslosigkeit wiederum ist der Hauptgrund für Überschuldung. Das heißt: Wer die Gläubiger einseitig belastet, erhöht mittelbar auch das Verschuldungsrisiko für die Verbraucher. Bei der Verbraucherinsolvenz sagen wir deshalb: Die außergerichtliche Einigung ist besser, sie ist mit weniger Bürokratie verbunden und gibt den Schuldnern in aller Regel eine echte Perspektive. Dieser Weg muss gestärkt werden.“

Junge Verbraucher zahlen schlechter als Ältere
Mit großer Sorge sieht der BDIU in diesem Zusammenhang das wachsende Problem der Jugendverschuldung. „Immer mehr junge Menschen nehmen Verbindlichkeiten auf, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wie sie sie wieder abtragen können“, berichtet Kremer. In der Herbstumfrage melden 39 Prozent der Inkassounternehmen, dass junge Erwachsene (18 bis 24 Jahre) Rechnungen schlechter bezahlen als über 25-Jährige (besseres Zahlungsverhalten: 7 Prozent; Zahlungsverhalten vergleichbar: 54 Prozent).

Telekommunikationsunternehmen, Online- und Versandhändler typische Gläubiger junger Schuldner
Jugendliche haben demnach vor allem Schulden bei Telekommunikationsunternehmen (87 Prozent der Inkassounternehmen bestätigen das), Onlinehändlern (76 Prozent), Versandhändlern (66 Prozent) und Internet-Serviceanbietern (56 Prozent). Erwachsene dagegen stehen in der Regel bei Banken und Kreditinstituten in der Kreide (87 Prozent), bei Versandhändlern (68 Prozent) und Vermietern (60 Prozent).


„Konsumschulden sind dumme Schulden“ – Bessere Finanzkompetenz schützt

Es fällt auf, dass junge Schuldner sich vor allem mit der Anschaffung von Konsumprodukten und der Inanspruchnahme von Telekommunikationsdienstleistungen finanziell überheben.

Die Gläubigervertreter sehen das mit Bedenken. „Konsumschulden sind dumme Schulden“, urteilt Kremer. „Sie dienen nur zur kurzfristigen Befriedigung eines Bedürfnisses, können aber die eigene wirtschaftliche Existenz nachhaltig gefährden. Wer so handelt, hat offensichtlich nicht genügend Kompetenz erlangt, um eigenverantwortlich wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen. Das ist eine fatale Entwicklung für die gesamte Gesellschaft.“

Kremer weiter: „Wir machen sehr häufig die Erfahrung, dass verschuldete Jugendliche aus einem Elternhaus kommen, das ihnen einen unverantwortlichen Umgang mit Geld vorgelebt hat – oft sind die Jugendlichen in sozial schwachen Verhältnissen groß geworden oder stammen aus bildungsfernen Schichten. Hier hat auch der Staat eine Verantwortung, und er muss dieser gerecht werden durch Aufklärung bereits in der Schule.“

Lernen, Wünsche und Bedürfnisse mit finanziellen Möglichkeiten auf einen Nenner zu bringen
Wie das funktionieren kann, zeigen einige Beispiele: In Hamburg bietet die dortige Handelskammer die „Junge Akademie“ an. Junge Menschen ab 15 Jahren können während der Schulzeit oder Berufsausbildung Wirtschaftswissen und eine ökonomische Allgemeinbildung erlangen. Im österreichischen Bundesland Vorarlberg können Schüler und junge Erwachsene einen Finanzführerschein erwerben, der sie befähigt, ihre Wünsche und Bedürfnisse mit ihren finanziellen Möglichkeiten auf einen Nenner zu bringen.


BDIU für Schulfach Finanzkompetenz – Gläubigervertreter sichern Unterstützung zu

„Es reicht aber nicht aus, solche Projekte alleine auf freiwilliger Basis anzubieten“, kritisiert Kremer. „Wenn wir Überschuldung nachhaltig bekämpfen wollen, brauchen wir dringend ein verpflichtendes Schulfach Finanzkompetenz in ganz Deutschland.“ Kremer weiter: „Das ist unsere Forderung an die Politik. Wir als Vertreter der Gläubiger bieten dazu unsere Zusammenarbeit an.“